Franca Parianen

Franca Parianen

Adrenalin, Herzklopfen und geweitete Pupillen

Die Leistungsbereitschaft von Menschen steigt, wenn sie sich gehört fühlen und wenn sie das Zuhören beherrschen. Gleichzeitig sollten die persönlichen Ziele der Mitarbeitenden mit den Unternehmenszielen übereinstimmen. Auch Impulse, die das Gehirn anregen, fördern die Produktivität. Damit sind beispielsweise Neuigkeiten, Nervenkitzel, der soziale Austausch und ausreichende Gestaltungsräume gemeint, wie die Neurowissenschaftlerin, Bestsellerautorin und Wissenschaftskommunikatorin Dr. Franca Parianen im Gespräch mit dem HarbourClub Magazin darlegt.

von Walter Steiner*

Frau Parianen, Corporate Behaviour, Corporate Culture, Corporate Purpose und nun auch noch Corporate Listening – was kann Corporate Listening aus Ihrer Sicht als Neurowissenschaftlerin leisten?

Franca Parianen: Einer der absolut wichtigsten Motivations- und Resilienzfaktoren ist Selbstwirksamkeit. Die fängt damit an, sich gehört zu fühlen. Auch Vertrauen entsteht am besten im Austausch. Aber auch für den Zuhörer hat es grosse Vorteile, aufmerksam zu sein, denn wenn wir nicht aufpassen, machen wir über unser Gegenüber eine Menge unbewusster Annahmen. Dazu gehört zum Beispiel unser Hang, von uns selbst auf andere zu schliessen – der sogenannte Egocentric Bias. Eine andere Denkfalle ist unsere Tendenz anzunehmen, dass wir den anderen einen Schritt voraus sind. Wir glauben, wir hätten als Einzige den neuen Trend erkannt, und wundern uns, dass wir mit 100 anderen aufgesprungen sind.

Wie kann das Management signalisieren, dass es im Unternehmensalltag ein offenes Ohr für die Anspruchsgruppen hat?

Dafür sorgen, dass das Zuhören Teil eines Austauschs und einer Entwicklung ist. Der beste Weg zu vermitteln, dass wir ein offenes Ohr haben, besteht nur zur Hälfte darin, ein sicheres Umfeld für Anliegen, Anregungen und Kritik zu schaffen – die andere Hälfte besteht darin, aktiv auf das Gehörte einzugehen. Es bringt nichts, die tollsten Kommunikationskanäle zu schaffen, wenn Menschen nicht das Gefühl haben, dass ihre Worte dort etwas bewirken. Man kann Leute sehr damit überraschen, indem man ihnen einen nebenbei geäusserten Wunsch erfüllt und damit Gespräche öffnet.

Welche neueren Erkenntnisse der Neurowissenschaft sollten Ihrer Meinung nach in den Unternehmen breiter thematisiert und diskutiert werden?

Wir stellen uns Leistung oft als etwas vor, das man mit Konzentration und Stirnrunzeln erreicht. Tatsächlich braucht es dafür aber Adrenalin, Herzklopfen und geweitete Pupillen. Sprich, wir können sie nicht auf Knopfdruck aktivieren. Wir brauchen das, was unser Gehirn anregt: Neuigkeiten, Nervenkitzel, sozialen Austausch, Gestaltungsräume. Es gibt einen enormen Leistungssprung, wenn die Unternehmensziele mit unseren persönlichen Zielen zusammengehen, das heisst, wenn wir persönlich profitieren, wenn das Unternehmen profitiert. Und wenn unsere Werte und Ziele mit denen des Unternehmens übereinstimmen, ist der Leistungssprung noch grösser, weil wir für unsere Arbeit intrinsisch motiviert sind.

Und welche Faktoren hemmen die Produktivität?

Der chronische Stress der Weltlage macht uns die Konzentration unglaublich schwer. Besonders junge Leute machen sich wegen der immer dramatischer sichtbar werdenden Folgen der Erderhitzung kaum noch Hoffnung für die Zukunft. Die Mehrheit würde sogar lieber in der Vergangenheit leben. Dazu die ständige Überlastung durch Krankenstand. Wie heisst es so schön: Die Welt geht unter und ich muss trotzdem arbeiten. Dieser Spagat und die Verdrängung brauchen eine Menge mentaler Energie. Viel besser ist es, aktuelle Krisen offen zu erkennen und uns damit Handlungsspielraum zu verschaffen. Statt die Dauererkältung hinzunehmen, lieber Luftfilter aufstellen. Statt die Erderhitzung zu verdrängen, gemeinsam im Unternehmen alles geben, um uns energieneutral aufzustellen. So haben auch die Angestellten das Gefühl, dass sie Teil der Lösung sind. Die Resilienzforschung nennt das Allostase – Stabilität durch Anpassung (s. Kasten).

Wie lassen sich diese negativen Faktoren verhindern oder vermindern?

Durch die Viertage-Woche. Oder den Vierstunden-Tag. Wenigstens durch Kernzeiten, die Ausschlafen oder Spätarbeit ermöglichen. Menschen können nicht dauerhaft am Stück produktiv sein. Manchmal schaffen wir das vor einer Deadline bei einem Projekt, das uns wirklich am Herzen liegt. Aber nicht an einem Achtstunden-Tag voller Zoom-Meetings. Allostase heisst auch, es braucht ein Auf und Ab an Leistung, an Stress und Routinephasen. Und wenn wir im Dauerstress sind, sichern wir uns die Routine oft, indem wir sinnlos am Computer daddeln. Wie viel Zeit unnütz vergeht, sieht man erst, wenn die Produktivität in Experimenten mit gekürzten Arbeitszeiten nach oben geht. Und die Krankheitstage abnehmen. Angestellten auf diese Art entgegenzukommen, bindet sie also sehr effektiv und sorgt selbst bei gleichem Gehalt nicht für Verluste, weil nur Leerzeit verloren geht.

Sie haben Hormone einmal als «das Kommunikationssystem der Menschen» bezeichnet. Was wollen Sie damit sagen?

Es gibt im Menschen zwei grosse Kommunikationskanäle: die Nervenbahnen, die schnell und effizient sind, aber ungefähr so flexibel wie unsere alten Haustelefone – eine vorgelegte Leitung, ein Alarmsignal für jeden Anruf. Hormone sind mehr wie Social Media: Sie können über die Blutbahn viele Zellen gleichzeitig erreichen, sorgen dafür, dass alle mit dem gleichen Reiz beschäftigt sind und sich bei Bedarf auch mal länger aufregen. Oder in seltenen Fällen sogar beruhigen.

Sollten sich Kommunikationsfachleute vermehrt mit der Steuerung von Kortisol, Testosteron und Östrogen befassen?

Das wäre auf jeden Fall ein wichtiges Thema! Zum einen, weil wir wissen sollten, wie wir unter Druck reagieren, im Stress oder Überschwang. Dass wir dabei zum Beispiel zu negativen Einschätzungen tendieren, zum Festhalten an alten Konzepten oder zu schnellen Belohnungen, die langfristig nicht immer ideal sind. Zum anderen aber auch, weil es zu dem Thema noch viel zu viele Fehlinformationen gibt. Dazu gehört die Vorstellung, dass die Hormone streng nach Geschlechtern getrennt sind.

In Ihrem Buch «Teilen und Haben» kommen Sie zum Schluss, dass wir das Teilen wieder lernen müssen. Warum?

Wenn wir an Teilen denken, kommt uns meist Grosszügigkeit in den Sinn. Dabei ist das, was Menschen ursprünglich gut können, zusammenarbeiten und den Gewinn daraus aufteilen. Unsere Vorfahren konnten so zusammen Mammuts jagen, statt allein eine Karotte ernten. Zusammenarbeit heisst oft, gegenseitige Abhängigkeit verstehen. Auf der anderen Seite löst Unfairness negative Gefühle wie Frust, Neid und Schadenfreude aus und reduziert die Arbeitsqualität erheblich. Wenn Löhne nicht mehr mit der Produktivität steigen, haben wir ein Problem. Auch auswuchernde Lohngefälle zwischen Mitarbeitenden und CEO sind problematisch. Dazu kommt, dass vieles, was Men- schen gewinnbringend teilen, wie Wissen, Risiken und Kinderversorgung als teure Staats- und Sozialausgaben gesehen werden statt als gewinnbringende Investitionen. Gerade Aus- gaben für Kitas, Kinder und Bildung zahlen sich über die Jahre zigfach aus.

Ein wachsender Teil unserer Gesellschaft glaubt, dass sich soziale Gerechtigkeit nur erreichen lässt, wenn wir Gleichheit anstreben. Braucht es auch ein Umverteilen?

Es muss Menschen wieder möglich sein, sich mit Arbeit ein gutes Leben aufzubauen. Vor allem wenn diese Arbeit, wie sie etwa von Lehr- oder Pflegekräften erbracht wird, generationenübergreifend die Grundlagen menschlicher Zivilisation sichert. Aber steuerlich benachteiligen wir genau solche Einkommen und belohnen stattdessen solche aus Erbe und Kapital. Im Endeffekt zahlen Milliardäre in vielen Industrieländern auf ihre Einkünfte die allerwenigsten Steuern.

Sollte also die Gleichheit angestrebt werden?

Ich glaube nicht, dass wir komplette Gleichheit brauchen – Menschen sind bereit, ein gewisses Mass an Ungleichheit zu tolerieren –, sondern wir brauchen Fairness. Es ist absurd, dass wir beim Satz, dass sich Leistung wieder lohnen müsse, an Kürzungen von Sozialleistungen denken. Ob sich Arbeit lohnt, hängt doch vom Gewinn ab und nicht davon, ob es irgendwem noch schlechter geht.

Wie passt die Forderung nach mehr Gleichheit mit der Förderung der Diversität zusammen?

Diversität ist auch so ein unterschätzter Wert, von dem wir oft denken, wir setzen ihn aus Gutmütigkeit oder wegen der Political Correctness um. Tatsache ist: Menschen tendieren zum Gruppendenken. Wir bestärken uns gegenseitig, steigern uns in Ideen hinein. Im Experiment kann man wunderbar beobachten, wie Menschen in diese Denkfallen tappen. In diversen Gruppen passiert das viel seltener. Am besten hat man verschiedenste Blickwinkel im Team.

Politiker, die sich als besonders gute Zuhörer ausgeben und dem Volk aufs Maul schauen, sind in Wahlen überaus erfolgreich. Donald Trump ist das Paradebeispiel. In Deutschland macht es die AfD vor. Was sagt dies über die Wählerschaft aus?

Nichts Gutes, denn sie haben für sich beschlossen, dass faschistische Bestrebungen in einer Partei für sie kein Ausschlusskriterium sind. Verständlich daran ist, dass Populisten ganz wunderbar all die Grundbedürfnisse ansprechen, die so an uns nagen: Populistische Erzählungen lassen die Welt wunderbar simpel aussehen und machen uns darin auch gleich zu den Guten – Teil einer mächtigen Gemeinschaft, die die Welt besser versteht als alle anderen.

Wie wird sich die Künstliche Intelligenz auf das Corporate Listening auswirken?

Ich könnte jetzt kulturpessimistisch sagen, dass noch mehr Zuhörfunktionen an Sprachbots ausgelagert werden –  und wahrscheinlich stimmt das. Oder, dass noch mehr Entscheidungsfunktionen an Black Boxen übergeben werden, die sich nicht kritisieren oder hinterfragen lassen – was jetzt schon passiert und Kommunikation komplett ruiniert. Aber ich möchte lieber das Beispiel eines Professors nehmen, der sagte: «Am Ende lassen die Studenten ihre Hausaufgaben generieren und ich generiere ihre Bewertungen und wir sind alle endlich frei zu lernen». Es wäre toll, wenn wir die Automatisierungsfunktionen von ChatGPT und Co nutzen könnten, um uns weniger auf formelle Kommunikation zu fokussieren, auf 97 Tipps für erste Sätze eines Cover Letter oder den korrekten Tonfall für E-Mails, und stattdessen die Art von Kommunikation in den Vordergrund rücken, in der Menschen tatsächlich gut sind. Empathie, Wärme, Witz, Ironie. All das, was aus Arbeit einen Lebensraum macht.

Zu Ihrer Laufbahn, Frau Parianen: Was hat sie veranlasst, Neurowissenschaften zu studieren?

Es ist eine Kombination aus allem: einem tiefen Verständnis von Menschen und Gesellschaft, gepaart mit Biologie. Das ideale Fach für Leute mit Entscheidungsschwierigkeiten. Meinen ersten Abschluss habe ich in den Geisteswissenschaften gemacht und damals auch als Fundraising-Koordinatorin gearbeitet. Das Neurowissenschaftsstudium hat mir erlaubt, noch viel tiefer in diese Themen vorzudringen. Die liebe Angewohnheit, zur Problemlösung wissenschaftliche Datenbanken zu durchstöbern, habe ich mir nach der Promotion bewahrt.

Wenn Sie für ein Unternehmen einen Chief Communications Officer suchen müssten, welche Anforderungen ständen im Stellenprofil zuoberst?

«Auch privat auf Social Media unterwegs.» Wenn Firmenkommunikation auf Social Media verlagert wird, findet sie in einem ganz anderen Kontext statt als in Anzeigen, Pressekonferenzen und Abendnachrichten. Es macht einen Unterschied, ob man seine Arbeit auf einer Messe präsentiert oder auf einer quer durchmischten WG-Party mit angetrunkenen Gästen. Um sich in diesem Umfeld durchzusetzen, muss man seine Sprache beherrschen, die auf jeder Social-Media-Plattform eine andere ist. Man muss eine Idee von den anderen Gästen und ihrem Humor haben, darüber, womit man sie erreicht und wie man dabei keinen falschen Eindruck hinterlässt.


Dr. Franca Parianen (1989) ist Neurowissenschaftlerin, Bestsellerautorin und Wissenschaftskommunikatorin. Sie hat einen Abschluss in Public Administration und einen Master in Kognitions- und Neurowissenschaften. 2015 erschien ihr Buch «Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage». In ihrem Essay «Teilen und Haben» schreibt die Autorin über Fairness und Verteilungsgerechtigkeit in der Krise. In der neusten Publikation «Weltrettung braucht Wissenschaft» geht Franca Parianen als Herausgeberin und Co-Autorin der Frage nach, wie eine Welt aussehen könnte, in der wir auf Wissenschaft hören. Seit 2014 ist die Wahlberlinerin als Science-Slammerin aktiv und brachte Wissenschaft auf die Bühnen von Theatern, Kneipen und Kongressen.


* Dr. Walter Steiner hat 1998 Steiner Kommunikationsberatung gegründet. Sie ist spezialisiert auf Unternehmens-, Finanz- und Nachhaltigkeitskommunikation sowie Strategieentwicklungen. Die Agentur ist Mitglied der GIRAS, Gesellschaft der Investor Relations Agenturen der Schweiz. www.steinercom.ch