Stefan Eggenberger

Stefan Eggenberger

Das Schweigen der CEOs

Sollen CEOs in der Öffentlichkeit klare Positionen zu wirtschafts- und gesell­schaftspolitischen Fragen vertreten? Oder ist das Ganze vielmehr eine modi­sche Strömung, welcher mit dezidierter Zurückhaltung zu begegnen ist? Heikle Fragen für Chief Communication Officers (CCOs). An einem kürzlichen Workshop des HarbourClub nahmen sie das Dafür und das Dagegen unter die Lupe.

Text von Stefan Eggenberger, Leiter Center for Communications, HWZ

Die interne und externe Positionierung des Unternehmens ist für Kommunika­tionsverantwortliche eigentlich ein laufender Auftrag; dabei kommt derRolle des CEOs grosse Bedeutung zu. Schon seit geraumer Zeit ist klar, dass Führungspersonen nicht nur gegenüber Mitarbeitenden undPartnern, sondern auch gegenüber Communities und Gesellschaft Verantwortung tragen. Gewandelt haben sich aber bei diesen Anspruchsgruppen die Erwartungen in Sachen Haltung und Meinungsführung zu Themen von gesellschaftlicher Relevanz und Brisanz. Zunehmend scheinen alle Stakeholder auf gelebte und geäusserte Wert­vorstellungen zu achten und erwarten von CEOs entsprechend Klartext zu Themen des öffentlichen Geschehens. Wie sollen Unternehmen und CEOs mit dieser Erwartungshaltung umgehen?

Economiesuisse fühlt den Puls

Der HarbourClub-Workshop vom November 2022 startete mit einer spannenden Rundumbetrachtung und Situationserfassung durch Michael Wiesner, Leiter Kommunikation von economie­suisse und Har­bourClub-Mitglied. Er erläuterte für seine Kolleginnen und Kollegen die aus seiner Sicht aktuellen Herausforderungen und damit verbundenen Knacknüsse. Einerseits – so Wiesner – sei eine zuneh­mende Entfremdung zwischen Wirtschaft und Gesellschaft festzustellen. Anderer­seits nehme die kri­tische Haltung gegenüber Unternehmen und Führungskräften, gegenüber dem Wirt­schaftswachstum und gegenüber dem technische Wandel zu. Dies zeige sich nicht zuletzt auch in Volksabstimmungen über wirtschafts- und sozialpolitische Vorlagen. Ferner mache es den Anschein, als werde die Markt­wirtschaft zunehmend negativ konnotiert und als Antipode zu Menschenrechten, Klima- und Um­weltschutz aufgefasst und dargestellt. Eigenkritisch setzte sich Wiesner mit identifi­zierten Verände­rungsfaktoren seitens Gesellschaft auseinander wie z.B. Fake News, Haltung gegen­über dem Staat und der technologischen Entwicklung; seitens Wirtschaft erwähnte er z.B. Globali­sie­rung, Lohn- und Boni-Exzesse und Umweltskandale. Wiesner plädierte dafür, dass CEOs und Füh­rungskräfte – auch als Staatsbürgerinnen und Staatsbürger – Mitverantwortung für den Standort Schweiz und nicht nur für das eigene Unter­nehmen entwickeln und übernehmen. Es gelte Farbe zu bekennen, mutiger zu werden und sich zu exponieren. Dabei sei es auch wichtig, resistenter ge­genüber möglichen Shit­storms zu werden.

Notwendige Bedingungen für das Tun oder Lassen

Die anschliessende Diskussion zeigte auf, dass CCOs – je nach Branche und Leistungsauftrag der Or­ga­nisation – sich laufend intensiv mit den vielseitigen Erwartungen an eine authentische, verständli­che, aufrichtige und haltungsbezogene Unternehmenskommunikation und eine dementsprechende CEO-Kommunikation auseinandersetzen. In einer ersten Arbeitsversion wurde die Variante "Macht Sinn" behandelt. Dabei kristallisierten sich folgende, erste nicht gewichtete Hauptansätze heraus:

Unsere CEO, unser CEO äussert sich extern zu gesellschaftlichen Themen, …."

  1. 1. weil dadurch aktuelle oder zukünftige Rahmenbedingungen aktiv mitgestaltet werden kön­nen;
  2. 2. weil heutzutage keine Zuschauer:innen, sondern verantwortungsbewusste Akteur:innen gewünscht werden;
  3. 3. wenn ein erkennbarer Bezug, eine nachvollziehbare Verbindung zum Unternehmen, sei­nen Fachgebieten und unternehmerisch relevanten Themen besteht;
  4. 4. wenn es grundsätzlich zu ihr/ihm passt und ihr/ihm authentische Aussagen erlauben bzw. ermöglichen;
  5. 5. wenn damit mittel- bis langfristig eine Unternehmenshaltung entwickelt und geteilt wer­den kann;
  6. 6. weil dadurch die Haltung des Unternehmens, der Dachmarke verständlich und nachvoll­ziehbar dargelegt werden kann;
  7. 7. weil bestehende und potentielle Mitarbeitenden, Kundinnen und Kunden wissen wollen, was die Haltung des Unternehmens ist;
  8. 8. weil dies ein erster, aber klar erkennbarer Schritt zum Dienst an der Gesellschaft ist.



Bei der zweiten Betrachtung ging es um die Perspektive "Macht keinen Sinn". Dabei wurde folgende nicht gewichteten Voten eingebracht:

Unsere CEO, unser CEO äussert sich nicht extern zu gesellschaftlichen Themen, …."

  1. 1. wenn die Themen ausserhalb des Kontextes unserer Kernaufgaben liegen;
  2. 2. wenn die persönliche und/oder unternehmerische Reputation gefährdet ist;
  3. 3. wenn keinen plausiblen Zusammenhang zwischen dem eigenen Werdegang, Profil und ak­tuellen Engagements gibt;
  4. 4. wenn diese nicht im direkten oder erweiterten Sinne zu den Kernkompetenzen des Unter­nehmens gehören;
  5. 5. wenn kein intellektueller, sozialer, gesellschaftlicher Mehrwert zu erkennen ist;
  6. 6. wenn die Themen die Gefahr der persönlichen Überforderung beinhalten;
  7. 7.  weil CEOs nicht die Diversität der Mitarbeitenden widerspiegeln können;
  8. 8.  weil dadurch die Gefahr besteht, dass sich intern politische Lager bilden und Gräben auf­tun;
  9. 9.  wenn damit die persönliche oder unternehmerische Glaubwürdigkeit beeinträchtigt wer­den könnte;
  10. 10.  weil dadurch auch vielen anderen Themen Aufmerksamkeit geschenkt werden soll und die Gefahr der "Parteilichkeit" oder der "Vernachlässigung" besteht;
  11. 11.  wenn sich die/der CEO dabei sichtlich unwohl fühlt und die Thematisierung nichts mit ih­rem/seinem bisherigen oder aktuellen Engagement zu tun hat.


 
Erste Erkenntnisse

Die weitere Diskussion zeigte auf, dass es sowohl aus Sicht der Teilnehmenden weder eine "Good Practice" noch gar eine "Best Practice" gibt. Jede Organisation ist auf­gefordert, eigenständig und selbstverantwortet zu entscheiden, ob CEOs Stellung beziehen und Hal­tung in wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Themen zeigen. Es braucht einen internen Prozess, welcher das Ringen um ein gemeinsames Vorgehen, in dem sich alle Beteiligten wiederfinden und in dem möglichst keine Gruppierung auf wesentliche Punkte verzichten muss. Analog der im Har­bourClub angewendeten Technik eines ersten Pro- und Kontrakatalogs können so Organisationen ihre Liste der notwendigen Bedingungen, welche mit angemessenem Aufwand erfüllt werden kön­nen, für das zu­künftige Tun oder Lassen erarbeiten. Dies anhand individueller, branchen- und kernge­schäftsspezifischer, marken- und kulturkompatibler Aspekte. Dabei gilt es folgende Herausforderun­gen besonders zu beach­ten:


1) Keine externe Stellungnahmen ohne interne Verständnisgrundlage

Wenn CEOs sich spontan und aus der Hüfte schiessend zu geopolitischen Themen äussern, ohne da­bei bei Mitarbeitenden eine tragfähige Verständnisgrundlage geschaffen zu haben, laufen sie Ge­fahr, mehr Baustellen zu schaffen als Klärung zu erreichen oder Unterstützung zu erhalten. Mitarbeitende wollen verstehen und nachvollziehen können, warum und wofür sich jetzt die bzw. der CEO plötzlich zu diesem Thema öffentlich äussert. Wie sollen Mitarbeitende als Botschafterinnen und Ambassadoren ihrer Marke ihre vielfältigen Beziehungen zu Anspruchsgruppen aktiv mitgestal­ten, wenn sie nicht wissen und nicht verstehen, weshalb jetzt die bzw. der CEO Farbe bekennt?


2) Kontinuität versus Emotionalität

Sich einmal zu einem tragischen, bedrohlichen, "matchentscheidenden" Thema zu äussern ist weder nachhaltig noch überzeugend. Die Organisation sollte vielmehr eine Linie haben: will heissen, sie ver­bindet ihre CEO-Stellung­nahmen klar mit ihrem Purpose, mit ihrer Kultur, mit ihrem Verhalten im Ta­gesgeschäft und äussert sich somit differenziert und dezidiert zu verschiedenen Vorkommnissen oder Initiativen.

3) Der Leistungsauftrag öffnet Türen

Je nach juristischer Form der Organisation, ihrem Zweck und ihrem definierten Leistungsauftrag ist es für Anspruchsgruppen mehr, weniger oder gar nicht verständlich, wenn CEOs oder Führungskräfte öffentlich Stellung beziehen. Die CEO eines Kinderhilfswerkes hat z.B. nicht die gleiche Ausgangslage und unausgesprochene Legitimation, sich zu Flüchtlingsdramen zu äussern wie die Leiterin einer kan­tonalen Direktion.

4) Love Brand versus Hate Brand

Unternehmen, die aufgrund ihres Kerngeschäftes, ihrer Skandale, ihrer Machenschaften im Markt nicht geliebt werden, tun gut daran, sich CEO-Stellungnahmen zu öffentlich brisanten Themen beson­ders sorgfältig zu überlegen. Sollte nämlich dabei bei den Anspruchsgruppen der Eindruck aufkom­men, es gehe pri­mär um das aufpolieren einer schlechten Reputation, wird das in der Regel nicht gou­tiert, baut weite­ren Widerstand gegen die Organisation auf oder löst ganz einfach einen Shit­storm aus.

Zukünftige CEO und CCOs für den Schulterschluss sensibilisieren

Wolfgang Griepentrog publizierte im Oktober 2011 im Kommunikationsmanager einen bis heute dis­kutierten Artikel "Der CEO und sein Kommunikationschef: Eine Typologie einer besonderen Partner­schaft". Griepentrog plädierte für eine kommunikationsfördernde Partnerschaft, in welcher sowohl CEOs als auch CCOs kommunikationsstark sind. Für Griepentrog ist klar, dass CEOs einen Kommunika­tionsauftrag haben, welcher nicht delegierbar ist, den sie somit mit den CCOs teilen. Für ihn bildet die gut funktionierende Partnerschaft aus CEO und Kommunikationsverantwortlichen die Grundlage für die Glaubwürdigkeit und den nachhaltigen Erfolg der Kommunikation eines Unternehmens. Ob eine CEO oder ein CEO sich nun zu öffentlichen Themen äussert, ist somit nicht primär Gegenstand einer rein situativen Ent­scheidung, sondern eines Reifeprozesses in der gemeinsamen Gestaltung der Unternehmenskommu­nikation. Denn besonders gesellschaftspolitische Aspekte sollen mit der richtigen Prise Glaubwürdig­keit und der rechten Portion Nachhaltigkeit würdig, klärend und aktivierend behandelt werden. 

Schlussbetrachtung

Wenn CEOs ihre Organisation als integrierten Teil einer Gesellschaft verstehen, nehmen sie auch de­ren Entwicklungen, Veränderungen, Herausforderungen und Erwartungen wahr. Sie können dann einfühlsam und selbstkritisch entscheiden, inwieweit ihre Marke, ihre Funktion, ihre Organisa­tion sie legitimiert, auf Strömungen und Trends, Ängste und Bedenken, Krisen und Katastrophen ein­zugehen, Haltung zu zeigen, Aktivitäten oder Zurückhaltung anderer zu unterstützen. Basiert dage­gen ein En­gagement lediglich auf einer situativ modischen, möglichst attraktiven Inszenierung der unternehme­rischen oder persönlichen Marke, werden mündige Stakeholder das Spiel durchschauen und es nicht goutieren. Die Antwort lautet somit nicht "Haltung zeigen!" sondern "Weshalb und wofür wir Hal­tung zeigen!". Auch hier macht das "Why?" den feinen Unterschied aus.
 

Pdf des Artikels in persoenlich Jan/Feb 2023