Dr. Alexander Fleischer, Leiter Kommunikation der Schweizerischen Post

Die 5 Dilemmata in der Unternehmens-kommunikation

Im November 21 veröffentlichte der HarbourClub seinen Trendreport für CCOs (Chief Communication Officer). Er gibt Denkanstösse für die Unternehmenskommunikation der Zukunft. Doch nicht alles verändert sich. Unverändert verfolgt jede CCO in den alltäglichen Kommunikationssituationen fünf Ziele und gerät damit immer wieder in spezifische Dilemmata. Wie damit umgehen? Ein Versuch von Alexander Fleischer, Leiter Unternehmens-kommunikation der Schweizerischen Post.

«Nextgen Leadership», «Hybrid Work», «Employee Activism», «Audience-led Messaging», «Everything as a Service» und «Value of Experience» sind die Trends, die der HarbourClub in seinem Trendreport (www.harbourtrends.ch) vertieft, um Kommunikationsverantwortlichen zu helfen, in den nächsten Monaten für ihre Herausforderungen parat zu sein. Jedes Unternehmen befindet sich auf seiner eigenen Transformationsreise durch diese Trends und entsprechend gibt es CCOs, die sich schon jetzt mit den Auswirkungen all dieser Trends konfrontiert sehen, und andere, die sie erst am Horizont erahnen. Gleichzeitig gibt es aber Dilemmata, mit denen alle konfrontiert sind, und zwar in praktisch jeder einzelnen ihrer Entscheidungen. Diese Dilemmata sind an die fünf Ziele geknüpft, die eine CCO in jeder Kommunikation verfolgt.

Verständlichkeit, Interessenverfolgung, Wahrhaftigkeit, Vertraulichkeit, Profilierung

Kommunikation kann nur zielführend sein, wenn sie verständlich ist. Ohne für das Gegenüber Verständlichkeit anzustreben, ergibt alles Kommunizieren keinen Sinn. Es geht immer auch um eine Interessenverfolgung. Schliesslich wird die CCO für ihren Einsatz von jemandem bezahlt. Da Kommunikation nicht ohne das Gegenüber gelingt, spielt Wahrhaftigkeit eine Rolle, ganz konkret die Wahrhaftigkeit von Aussagen über sich selbst. Wieder auf der Seite der CCO liegt das Anliegen der Vertraulichkeit, des Schutzes der möglichen eigenen Interessen von morgen. Und über allem schwebt schliesslich das Ziel der Profilierung, deutlich unterscheidbar, ja überhaupt in der Wahrnehmung der anderen existent zu sein.

Unabhängig davon also, ob und wann welcher Trend die Kommunikationsverantwortliche erwischt, ist eines klar: Den Dilemmata einer CCO kann sie nicht entkommen. Die fünf Ziele Verständlichkeit, Interessenverfolgung, Wahrhaftigkeit, Vertraulichkeit und Profilierung lassen sich nicht verfolgen, ohne in diese Spannungsfelder zu geraten. Im Praxisalltag muss bei der Verfolgung der fünf Ziele jeweils mit zwei gegensätzlichen Werten (Qualitäten, Tugenden) umgegangen werden, von denen jeder für sich zu einem Problem wird, wenn er überoptimiert wird. Erst wenn beide als komplementäre Gegensätze in Balance gebracht werden, entfalten sie konstruktive Wirkung. Eine tüchtige Suchmaschine wirft spätestens jetzt den Namen Schulz von Thun aus – der Kommunikationswissenschaftler, der berühmt wurde durch seine «vier Ohren und vier Schnäbel» und das «Werte- und Entwicklungsquadrat». Letzteres ist entscheidend im Meistern dieser Dilemmata, also bei Spannungsfeldern, bei denen eine konstruktive Wirkung davon abhängt, dass eine Tugend mit einer komplementären Schwestertugend in Balance ist (siehe Kasten).

Psychologie macht den Unterschied in der Kommunikation

Dogmatiker werden jetzt einwenden, Schulz von Thun komme nicht aus der Welt der Unternehmenskommunikation, sondern aus der Welt der zwischenmenschlichen Kommunikation, aus der Kommunikationspsychologie. Umso mehr Relevanz hat er heute für Kommunikationsleute, entgegne ich. Natürlich können sich auch Betriebswirtinnen, Juristinnen und Politikerinnen der Kommunikation annehmen. Die Kommunikation erhält dann aber oft auch eine entsprechende dominante Prägung, eine nutzenorientierte, eine schadenbegrenzende oder eine taktische. Das ist aber in den meisten Fällen nicht jene Kommunikation, die für die Organisation das Optimum erreicht, weil sie sich nicht an den Erwartungen des Kommunikationspartners ausrichtet. Und das sind letztlich immer Menschen, und diese funktionieren psychologisch.Wenn die CCO also nicht eingefleischte Ökonomin, Juristin oder Politikerin ist, dann weiss sie, dass ihre differenzierende Kompetenz in der Kommunikation liegt, also in der Soziologie und Psychologie. Das führt eben zu Schulz von Thun und seinen Modellen, die jede Kommunikation letztlich als Gespräch zweier Menschen verstehen. Oder ein Gespräch mit sich selbst. Und damit sind wir wieder beim Dilemma, denn das Dilemma kommt als Gespräch mit mir selbst daher, ungefähr so: «Ich will den einen Wert verfolgen und den anderen auch. Dummerweise stehen sie für Gegensätze. Wie gehe ich damit um?» Zu jedem der fünf Ziele und ihren Dilemmata stelle ich ein Wertequadrat zur Diskussion, aus dem sich Entwicklungsrichtungen ergeben.

Ziel 1 «Verständlichkeit»: Kommuniziere präzise und einfach

Um richtig verstanden zu werden, möchte ich möglichst keine Details auslassen, deren Fehlen in der Diskussion zu Missverständnissen und Fehlinterpretationen führen kann Das wird für das Gegenüber, das nicht mit der Materie vertraut ist und sich womöglich auch gar nicht so sehr dafür interessiert, rasch kompliziert, wirkt langfädig und langweilig. Die Entwicklungsrichtung liegt darin, Einfachheit hoch zu werten. Auf der anderen Seite darf die Einfachheit nicht übertrieben werden, um nicht ins Banalisierende abzurutschen. In unserer komplexen Welt fliegt einem das sofort um die Ohren. Die Entwicklungsrichtung liegt dann darin, Präzision hoch zu werten.

Ziel 2 «Interessenverfolgung»: Nutze deine Kommunikationskompetenz und sei auf Ausgleich bedacht

Die Kommunikationsprofi weiss, wie Kommunikationsprozesse ablaufen, was sie beeinflusst und welche psychologischen Effekte wie, wann und wo wirken. Die Gefahr ist akut, diesen Kompetenzvorsprung so auszureizen, dass es zur Manipulation wird. Die Entwicklungsrichtung liegt dann darin, den Ausgleich, das «win-win», hoch zu werten. Der Uneigennutz darf wiederum nicht übertrieben werden und kein Heldentum darin gesucht werden, sich naiv aufzuopfern, indem die eigenen Stärken und Kompetenzen nicht genutzt werden. Sich nicht nur die Legitimation, sondern den Auftrag zu geben, die eigene Kommunikationskompetenz aktiv einzusetzen und zu nutzen, ist in diesem Fall die Entwicklungsrichtung.

Ziel 3 «Wahrhaftigkeit»: Kommuniziere selbstbewusst und bescheiden

Dieses Wertequadrat kennen nicht nur Kommunikationsprofis. Es gibt Menschen, die sind so von sich überzeugt, dass alles, was sie von sich geben, als Propaganda daherkommt. Und das Gleiche gilt für Unternehmen. «Mehr Demut» will man zurufen. Wenn aber die Bescheidenheit übermässig betont wird, droht die Irrelevanz. Die Einwicklungsrichtung liegt dann in einem Mehr an Selbstbewusstsein. Der Journalist und Satiriker Gabriel Laub brachte den versöhnten komplementären Gegensatz auf den Punkt: «Bescheiden können nur die Menschen sein, die genug Selbstbewusstsein haben».

Ziel 4 «Vertraulichkeit»: Kommuniziere diskret und transparent

Transparenz gilt als Allheilmittel und in der digitalen Ära als unantastbarer Wert. Doch sie kann in Geschwätzigkeit ausarten. Die CCO, die diesen Hang verspürt, sollte als Entwicklungsrichtung den Wert der Diskretion wiederentdecken, um keine Geschäftsgeheimnisse oder den Persönlichkeitsschutz zu verletzen. Diskretion kann aber auch als Vorwand für Vertuschung genutzt werden. Dann gilt es, den Wert der Transparenz als Entwicklungsrichtung zu nehmen.

Ziel «Profilierung» 5: Kommuniziere so, dass du dich abhebst und Zustimmung erfährst

Schliesslich positioniert sich jede, die kommuniziert, im gesellschaftlichen Gefüge. Wer nicht anschlussfähig ist, wird zur Aussenseiterin, «Agreeability» (ein geniales englisches Wort) ist also zentraler Wert, um im gesellschaftlichen Geschehen mitwirken zu können. Wer aber immer und überall auf Zustimmung aus ist, wird unscheinbar. Für ein Unternehmen heisst das, dass es übergangen und übersehen wird und über kurz oder lang auch tatsächlich von der Bildfläche verschwindet. Als Entwicklungsziel gilt dann, sich mehr Ecken und Kanten zuzulegen, um sich aus dem Einheitsbrei abzuheben. Wer jedoch zu aussergewöhnlich ist und seine eigene Besonderheit über alle gesellschaftlichen Normen und Gepflogenheiten stellt, wird irgendwann gemieden. Der Wert, dass andere einem zustimmen können, wird in diesem Fall zum Entwicklungsziel.

Das sehe ich als die «Big Five»-Dilemmata im Alltag der Unternehmenskommunikation, aber vielleicht fehlen ja wichtige? Vielleicht das Dilemma des Genderns? Fühlen sich die Kommunikationsleiter nun mitgemeint oder ausgeschlossen? Oder denken meine weiblichen Kolleginnen, ich würde nur ihnen diese Dilemmata unterstellen? Das ist die Krux – eine Entscheidung treffen muss man ständig in der Kommunikation.

Das Werte- und Entwicklungsquadrat

Der Urgedanke stammt von Aristoteles (ca. 350 v. Chr.): Im menschlichen Zusammenleben entfalten wertegeleitete Tugenden und Qualitäten nur dann eine konstruktive Wirkung, wenn sie in «ausgehaltener Spannung» (Balance) zu einem Gegenwert gelebt und verwirklicht werden, zu einer komplementären «Schwestertugend», die geeignet ist, ein Abgleiten der Tugend in eine übertreibende Optimierung zu verhindern. Sparsamkeit z. B. verkommt zum Geiz, wenn sie nicht mit Grosszügigkeit gepaart ist. (Schulz von Thun «Miteinander Reden Bd. 2). Das Wertequadrat ist ein Analyseinstrument, das hilft, in diffusen Spannungssituationen Klarheit zu erlangen. Klarheit, die hilft, in Aktionen wieder bewusst das Steuer übernehmen zu können.

Zum Autor: Dr. Alexander Fleischer (52), Leiter Kommunikation der Schweizerischen Post. Von 2005 bis 2011 war er Präsident des HarbourClub.