Kognitive, kommunikative und soziale Fähigkeiten erforderlich
Im Gegensatz zur "Schwarmintelligenz", die auf meist sehr einfachen und hochautomatisierten Kommunikationen und Interaktionen beruht (z.B. im Ameisenstaat oder Fischschwarm), erfordert CI hochentwickelte kognitive, kommunikative und soziale Fähigkeiten, wie man sie vornehmlich bei Primaten einschliesslich des Menschen und bei bestimmten Vogelarten (Singvögel, Papageien) findet. Beim Menschen gehöre hierzu eine gute allgemeine und praktische Intelligenz, eine leistungsfähige Kommunikation verbaler, bildlicher oder gestisch-mimischer Art und ein hohes Mass an sozialer Kooperativität. Diese wiederum setze die Fähigkeit voraus, sich in die Gedanken, Gefühle und Absichten anderer Beteiligter hineinzuversetzen (Theory of Mind) und das Vorhandensein gemeinsamer Motiven und Ziele, was meist durch Traditionsbildung und Erziehung vermittelt werde. In der Regel herrsche unter den Individuen eine starke Arbeitsteilung.
Führt Intelligenz, die "collaborative" erzeugt wird, zu besseren oder schnelleren Lösungen? "Ja, aber…", könnte man die Antwort des Gehirnforschers zusammenfassen. CI beruht nach seinen Worten darauf, "besondere kognitive und praktische Fähigkeiten und Fertigkeiten der Individuen zu kombinieren". Im Rahmen einer effektiven Arbeitsorganisation führe dies zu einer deutlich erhöhten Fähigkeit zum Problemlösen. Roth erwähnt die Wissenschaft und ihre praktische Umsetzung in Technik und Wirtschaft als die besten Beispiele. Dies setze jedoch einen hohen Grad an standardisierter Ausbildung voraus.
Persönlichkeitseigenschaften bestimmen Veränderungsbereitschaft
Wenn man die geringe Veränderungsbereitschaft der Menschen betrachtet, wie sie Roth in seinem Buch "Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten" (Verlag Klett-Cotta, 2015) beschreibt, fragt man sich allerdings, ob die Digitalisierung unsere Gesellschaft wirklich verändern kann. "Die Veränderungsbereitschaft des Menschen ist nicht generell gering, sondern nimmt in dem Masse ab, in dem grundlegende Persönlichkeitseigenschaften der Menschen berührt werden", erklärt Roth und präzisiert: "Vieles im täglichen Leben kann sich relativ schnell ändern, wenn dies mit tief verwurzelten Motiven im Einklang steht, nämlich Lustgewinn, materieller Gewinn, Erfolgsstreben, Leistungssteigerung, intensive Kommunikation und soziale Anerkennung." Es sind exakt solche Motive, welche durch die heutigen digitalen Medien in hohem Masse bedient werden.
Digitalisierung erhöht Anspruch an Führungskultur
Im Berufsleben sei Digitalisierung unabdingbar und oft sehr vorteilhaft, bekräftigt Roth, bringt jedoch sogleich einen Vorbehalt an: "Wenn die Nutzung oder Einführung digitaler Medien zu tiefgreifenden Veränderung im Berufsleben führt wie ständige Bereitschaft, agiles Arbeiten ohne festen Arbeitsplatz, Auflösung fester Verantwortlichkeiten, Fortfall direkter Interaktionen (face-to-face) zwischen Führungskräften und Mitarbeitern, dann kann dies zu starken Leistungseinbussen und psychischen Belastungen der Beteiligten führen." Roth fordert deshalb, dass notwendige Änderungen aufgrund der Digitalisierung "mit intensiverer persönlicher und feinfühliger Führungskultur" begleitet werden. Vorgesetztengespräche per Email oder SMS sind tabu.
Wie lässt sich verhindern, dass sich selbst täuschende (und überschätzende) Menschen auf Collaborative Intelligence-Teams einen zu starken Einfluss haben? Schliesslich bezeichnet Roth Ehrgeiz und Machthunger als Quellen der Selbsttäuschung. Die professorale Anleitung ist einleuchtend: Erstens müsse die Teambildung sorgfältig vorbereitet werden. Dies bedeutet, dass professionelle Teambilder eingesetzt werden, um die Persönlichkeiten der für das Team vorgesehenen Individuen hinreichend zu erfassen. Zu erfassen sind die Intelligenz, Erfahrung, Kooperativität, Empathie und insbesondere die individuellen Belohnungserwartungen (monetär, sozial, intrinsisch), welche die Individuen mit der anstehenden Teamarbeit verbinden. Zweitens müssen die Ziele der Arbeit und die vorgesehenen Abläufe genau erläutert und im Konsens festgelegt werden. Nur so könne man Personen, die für die Arbeit im Team nicht geeignet sind, aussen vor lassen. "Die Gefährlichsten sind die Machthungrigen und Narzissten."