Kommunizieren in der digitalen Realität
Wie verändert die Digitalisierung die Kommunikation von Unternehmen?
Dominique Morel: Die Digitalisierung betrifft die Kommunikation von Organisationen in zweifacher Hinsicht: Einerseits verändern Datenanalysen, Personalisierung, Visualisierung und künstliche Intelligenz das Umfeld, in dem Kommunikation stattfindet. Andererseits treibt die Kommunikation die Digitalisierung und die damit verbundenen Prozesse aktiv voran.
Dr. Karin Vey: In Zukunft kommt der Unternehmenskommunikation vermehrt die Aufgabe zu, als Sparring-Partner von Geschäftsleitung, Business Development, IT und HR zu agieren: Sie hat unter anderem die artikulierten Ansprüche der verschiedenen Stakeholder ins Unternehmen einzubringen, hat als Brand Steward auf interne und externe Akzeptanz- und Glaubwürdigkeitsprobleme aufmerksam zu machen und Transparenz über Absicht und Einsatz von Technologien zu schaffen.
Dadurch wandelt sich auch das Profil von Führungskräften in Kommunikation, Marketing und Vertrieb?
Dominique Morel: Ganz klar, ja. Bereits heute ist Technologie die wichtigste Fachkompetenz für CCOs: Dies gaben 77 Prozent der Befragten in der gemeinsamen Studie von Harbour Club und ZHAW an. Der Einsatz neuer Technologien in der Kommunikation steckt aber in vielen Bereichen noch in den Kinderschuhen. Dabei wären gerade die Führungskräfte in Kommunikation, Marketing und Vertrieb prädestiniert dazu, als Vordenker innerhalb ihrer Organisationen zu agieren und das Erlebnis von Kunden, Mitarbeitenden und allen anderen Anspruchsgruppen neu und digital zu gestalten. Weshalb dies der IT-Abteilung und dem Chief Digital Officer überlassen?
Dr. Karin Vey: Entscheidungen werden künftig zunehmend auf der Basis von computergestützten Datenanalysen gefällt, deshalb brauchen Führungskräfte und Mitarbeitende neue Kompetenzen. Dazu zählen ein gutes Verständnis von Statistik sowie den Möglichkeiten und Grenzen der Systeme. Dabei geht es nicht nur um technologisches Knowhow, sondern auch um eine digitale Medienkompetenz in einem breiten Verständnis. Der Mensch setzt den Rahmen, in dem die Technologie zum Einsatz kommt. Von herausragender Bedeutung ist zudem kritisches Denken. Und die Kompetenz entscheiden zu können, wann ich etwa einem Algorithmus vertrauen und wann ich meiner Intuition den Vorzug geben sollte.
Was bedeutet die diese Entwicklung für den Umgang mit Anspruchsgruppen?
Dominique Morel: Es braucht eine neue Form des Stakeholder-Managements. Im Zeitalter der vollständigen Transparenz – und dieses steht uns bevor, da bin ich überzeugt – müssen Organisationen im Dialog mit ihren Anspruchsgruppen zusehends auf Offenheit setzen oder aber damit rechnen, dass Dritte volle Transparenz schaffen. Klassische Gatekeeper-Rollen verändern sich – oder fallen weg. Neue Multiplikatoren entstehen und alle Stakeholder werden auch zu potenziellen Kommunikatoren, Influencern und Whistleblowern. Dafür sorgen die neue Arbeitswelt, Social Media und Technologien wie Blockchain.
Aber wo genau liegt diese viel beschworene Disruption durch Technologie für Unternehmen?
Dr. Karin Vey: Die zentrale Komponente der digitalen Transformation ist der richtige Umgang mit Daten. Dabei spielt künstliche Intelligenz eine immer grössere Rolle. Sie erlaubt insbesondere, aus unstrukturierten Daten Erkenntnisse zu gewinnen und darin verborgenes Wissen sichtbar zu machen. 80 Prozent der heute vorhandenen Daten sind unstrukturiert. Mit Hilfe von kognitiven Assistenten können diese strukturiert und damit für vielfältige Anwendungen nutzbar gemacht werden. Das verändert unsere Arbeits- und Lebenswelt und eröffnet Organisationen neue Möglichkeiten, stellt sie aber auch vor neue Herausforderungen.
Dominique Morel: Für mich gehören zu diesen Herausforderungen vor allem auch neue Zusammenarbeitsformen – innerhalb und ausserhalb der eigenen Organisation. Das Internet der Dinge, der Einsatz von Algorithmen sowie eine rasche Automatisierung bedürfen eine neue Form von intelligenter Zusammenarbeit zwischen Organisationen und ihren Stakeholdern. Diese Interaktionen gilt es entsprechend mit Inhalten zu bespielen, welche der veränderten Realität gerecht werden. Neue Fragen stellen sich: Welche Allianzen bilden wir? Wie viele Sinne muss Kommunikation ansprechen? Und wie gestaltet sich ein Dialog von Maschine zu Maschine – ganz ohne menschliches Zutun? Die Basis für diese Inhalte und Formen bildet ein intelligent verknüpftes Kommunikationsmanagement, das in Echtzeit agiert.
Braucht es in Zukunft noch Kommunikationsmanagement?
Dominique Morel: Für mich steht fest: Wenn Führungs- und Fachkräfte der Kommunikation in dieser neuen Realität bestehen wollen, müssen sie sich neu erfinden: Den CCOs, CMOs und weiteren C-Levels kommt die Aufgabe zuteil, in einer immer unübersichtlicheren und komplexeren Welt Entwicklungen einzuordnen, zu priorisieren und zu antizipieren. Nur wer heute schon die Herausforderungen von morgen mit den Instrumenten von morgen angeht, hat auch einen Platz in der Zukunft der Kommunikation.