Ende der Massenkommunikation

Mit der Digitalisierung und dem Verlust von Reichweite und Einfluss der Massenmedien geht ein Strukturwandel der politischen Kommunikation einher. Die Erosion der Medienöffentlichkeit fordert die Routinen der politischen PR, des Campaignings und der Abstimmungskampagnen heraus. Neue Formen und Wege zeichnet die Marketingkommunikation vor: von der Massenkommunikation über die Communities zum datengestützten Microtargeting.

Massenmedien sind heute aus modernen demokratischen Gesellschaften nicht wegzudenken. Sie stellen nach den Kriterien Relevanz und Ausgewogenheit ein breites Angebot an politischen Themen und Positionen zusammen und reduzieren die Komplexität in politischen Entscheidungsprozessen. Damit strukturieren sie die politische Kommunikation in der Medienöffentlichkeit – thematisch, zeitlich und gesellschaftlich. Der von den Leitmedien moderierte Diskurs bildet den Orientierungsrahmen für die politische Öffentlichkeit und trägt zur Synchronisation und zur gemeinsamen Identität der Gesellschaft bei.

Die Massenmedien, insbesondere die Forumsmedien, bieten für alle etwas. Und genau hier liegt eines ihrer Probleme. Mit dem wachsenden Informationsangebot auf allen Kanälen steigt für uns alle der Druck zur Selektion. Massgebend bei der Informationsauswahl sind persönliche Interessen und Vorlieben. Allgemeine und lineare Informationsangebote im Sinne von «one size fits all», wie sie die Massenmedien heute typischerweise anbieten, kommen unter Druck. Wenn sich alle subjektiv relevanten Informationen umsonst und mit geringem zeitlichen Aufwand im Internet zusammenklicken lassen, rückt die Bedeutung von Bezahl- und Programmmedien in den Hintergrund. In den Vordergrund hingegen rücken individualisierte, nutzenorientierte, kostenlose und zeitlich unabhängige Informationsangebote.

Gatekeeper – chronisch unterfinanziert

Die Totenglocken für die klassischen Massenmedien können also nicht mehr überhört werden. Forumszeitungen, hört man von den Auguren, werden schon bald verschwunden sein. Immerhin unterscheidet sich auf den Newsportalen der grossen Medienhäuser die Auswahl politischer Themen durch das Publikum kaum von derjenigen in Zeitungen. Das klingt im Hinblick auf die digitale Transformation vielversprechend. Nur: Qualitätsjournalismus, der für demokratische Entscheidungsprozesse relevant wäre, lässt sich im Internet bis heute nicht nachhaltig finanzieren. Neue Finanzierungsmodelle wie die Genossenschaft Project R mit ihrem Online-Magazin «Republik» bleiben vorderhand interessante Experimente. Ob sie zukunftsfähig sind, wird sich zeigen.

Die Verlagshäuser setzen, so lange sie noch können, zumeist auf Kostensenkungen. Das führt zwangsläufig zu Qualitätseinbussen und damit zu weiter abnehmendem Publikumsinteresse und tieferen Erträgen. Ein Teufelskreis. Qualitätsjournalismus sei ein öffentliches Gut und müsse dem Markt und damit dem wirtschaftlichen Druck entzogen werden, sagen Wissenschaftler. Sie fordern eine vollständige oder teilweise Finanzierung des Informationsjournalismus durch den Staat oder durch staatsnahe Organe – nach dem Modell öffentlich-rechtlicher Einrichtungen. Ob sich die Gesellschaft einen Qualitätsjournalismus nach diesem Modell tatsächlich leisten will, bleibt abzuwarten.

Strukturwandel der politischen Kommunikation

Immer mehr, vor allem junge Menschen, lassen sich über die traditionellen Medien ohnehin nicht mehr erreichen. Und soziale Medien, wo alle Informationsempfänger gleichzeitig auch Sender sein können, haben erstens nicht den strukturierenden und moderierenden Charakter und zweitens auch nicht die bisherige Reichweite und Relevanz des Journalismus. Communities ersetzen keine Medienöffentlichkeit und Filter-Algorithmen keine politisch kompetenten Informationsjournalisten. Wo, wenn nicht in den Qualitätsmedien, soll der gesamtgesellschaftlich relevante öffentliche politische Diskurs stattfinden? Wo der Jahrmarkt der politischen Ideen, der Problemdefinitionen und Lösungsvorschläge? Und wo die Prüfung von Argumenten und das Gegenüberstellen von Dafür und Dagegen? Das für demokratische Gesellschaften eigentlich Undenkbare scheint konkret zu werden: die Agora löst sich auf – schleichend und scheinbar unaufhaltsam.

Damit ändert sich grundlegend der Rahmen für die politische Kommunikation. Deren Zweck verschiebt sich vom bisherigen Beitrag zur Verständigung und zur öffentlichen Beratung über die Massenmedien zunehmend hin zur Durchsetzung partikulärer Interessen. Das bedingt neben dem anhaltenden Dialog mit den politischen Entscheidungsträgern auch Strategien für die Netzwerkkommunikation in der digitalisierten Community und für eine passgenaue Botschaftenkommunikation gegenüber den Zielgruppen – und alles im Sinne eines permanenten Campaignings.

Partikulärinteresse als Richtschnur

Der Ertrag der Kommunikationsaktivitäten wird gemessen am zugrundeliegenden Partikulärinteresse. Er wird für die Akteure viel wichtiger werden als der transparente politische Diskurs und dessen Grundwerte an sich, wichtiger als der gegenseitige Respekt oder der einvernehmliche Konsens zur Lösung eines Problems. Die Erwartungen der Akteure an ihre politische Kommunikation werden stärker geprägt sein von Rationalität, Effizienz und messbarem Erfolg. So, wie es in der absatzorientierten Marketingkommunikation längst der Fall ist. Vor diesem Hintergrund ändern sich die Erfolgsfaktoren der politischen Kommunikation hinsichtlich Zweck, Themen, Kanäle, Geschwindigkeit, Effizienz und Messbarkeit.

In Bezug auf die genannten Erfolgsfaktoren sind die Möglichkeiten sozialer Netzwerke wie Facebook den traditionellen Massenmedien weit überlegen. Für das strategische Content Marketing politischer Organisationen sind sie ein Segen; eigene Inhalte können viel gezielter beworben werden als etwa mit Native Ads auf Newsportalen. Und auch für politische Inserate sind sie unendlich viel effizienter als Tageszeitungen oder Onlineportale: Für jede Zielgruppe lassen sich passgenaue Botschaften von unterschiedlichen Absendern in unterschiedlichen Periodizitäten in die jeweiligen Feeds ausspielen – inklusive Call to action. Der Ertrag pro investiertem Franken lässt sich leicht und quasi in Echtzeit eruieren: Die generierten Klicks, Views und Conversion Rates offenbaren das Interesse von Bürgern an einem Thema, einer Botschaft oder einer Position. Hinweise auf die persönliche Einstellung und das Stimmverhalten geben die Kommentare, Likes und Shares.
 

Aus Daten in sozialen Netzwerken

Die politische Kommunikation wird sich also zunehmend an den Methoden der modernen Marketingkommunikation orientieren und versuchen, ihre Effizienz zu steigern und die Streuverluste der politischen Werbung zu minimieren. Deshalb wird sie zunehmend auch Analysen von historischen, demographischen und individuellen Daten – beispielsweise die Datenschätze in sozialen Netzwerken – in ihre Strategien einbauen und für das Microtargeting nutzen. Offline und online. So wird es auch gelingen, in Algorithmen-induzierte und die organische Reichweite limitierende Filterblasen einzudringen.

Content Marketing fürs schmale Budget: Mit massgeschneiderten Sujets lassen sich verschiedene Zielgruppen auf sozialen Netzwerken passgenau ansprechen. Hier ein einfaches Beispiel für unterschiedliche Sujets nach Wohnregion und Geschlecht.