Generalversammlungen in Corona-Zeiten und in Zukunft
Die Generalversammlung (GV) ist das oberste Organ der Aktiengesellschaft: Sie beschliesst über die Statuten (und damit den Unternehmenszweck) sowie die Genehmigung von Jahresrechnung und Dividende. Zudem wählt sie den Verwaltungsrat (VR), der für die Geschäftsführung verantwortlich ist. In börsenkotierten Gesellschaften hat sie schliesslich auch ein Mitspracherecht über die Vergütung des Top-Managements.
Die Teilnahme an der GV und das Stimmrecht sind die zentralsten Mitwirkungsrechte des Aktionärs: Sie ist eine Art Landsgemeinde, an welcher Aktionäre unmittelbar diskutieren und entscheiden. Das Prinzip der Unmittelbarkeit hat zwei wichtige Konsequenzen:
1) Die GV findet an einem physischen Ort statt, damit – gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung – "[…] die spontane und uneingeschränkte Interaktivität unter den Teilnehmern gewahrt" wird. An der GV dürfen grundsätzlich nur Aktionäre und Verwaltungsräte teilnehmen. Nur Aktionäre dürfen sich an den Diskussionen und Abstimmungen beteiligen, wobei sie sich auch formell vertreten lassen können.
2) Der VR kann zwar Gäste einladen, jedoch grundsätzlich nur als "Zuhörer".
Insbesondere bei grossen börsenkotierten Unternehmen führte das jährlich zu Grossanlässen mit hunderten Aktionären.
Die GV in Corona-Zeiten
Infolge des Corona-Versammlungsverbots hat der Bundesrat die Möglichkeit eröffnet, die GV ohne physische Anwesenheit durchzuführen, indem die Aktionäre ihre Stimminstruktionen an einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter erteilen. Die GV selber wird "im stillen Kämmerlein" durch VR-Präsidenten, Stimmrechtsvertreter und Stimmenzähler abgehalten. Der direkte Einbezug der Aktionäre in die GV ist in diesem Corona-Regime nicht vorgeschrieben und kann unterschiedlich erfolgen: Ein Grossteil der Unternehmen publiziert neben dem Geschäftsbericht lediglich die Abstimmergebnisse der behandelten Traktanden. Andere wenden sich in Videobotschaften an die Öffentlichkeit oder übertragen die GV per Live-Stream, der auch Voten von Aktionären zulassen kann.
Aktienrechtsrevision: Virtuelle und Hybride-GV
Die kürzlich beschlossene Aktienrechtsrevision führt zu weiteren Neuerungen, welche am Unmittelbarkeitsprinzip rütteln: Neu kann eine GV (auch nach der Corona-Pandemie) ohne physischen Tagungsort rein virtuell stattfinden. Zulässig ist auch die hybride GV, an der Aktionäre sowohl live vor Ort als auch virtuell über das Internet teilnehmen. Ursprünglich sollte die Revision am 1.1.2022 in Kraft treten, es sieht aber danach aus, dass es frühestens Mitte 2022 ev. sogar erst anfangs 2023 soweit sein wird. Aber Vorsicht, eine virtuelle GV darf man nur durchführen, wenn die Statuten dies vorsehen. Die Statutenänderung kann aber erst nach Inkrafttreten der Revision vorgenommen werden. Somit dürften erste virtuelle GVs frühestens im 2024 kommen. Die Anforderungen an die Durchführung einer virtuellen oder hybriden GV sind hoch: Es muss sichergestellt werden, dass alle Aktionäre (und nur diese) sich an den Diskussionen unmittelbar beteiligen und abstimmen können. Bei technischen Problemen, die im elektronischen Rahmen wohl nie ganz auszuschliessen sind, besteht die Gefahr, dass die GV wiederholt und neu organisiert werden muss. Werden die Unternehmen dieses neue Mittel der virtuellen GV nutzen? Das hängt wohl insbesondere davon ab, wie stark die Gesellschaft ihre Aktionäre in die GV einbeziehen will.
(Vollständiger Artikel mit den Meinung von Kommunikationsexperten im pdf)
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