Jan Müller, Head Group Communications von Swiss Re

Haltungskommunikation

Jan Müller, Head Group Communications von Swiss Re legt in der März-Ausgabe des prmagazins dar, worin er die Aufgabe der Kommunikationsverantwortlichen in der Zeitenwende sieht.

Jetzt im Ernst

Als Deutscher in der Schweiz musste man schon lange mitleidige Kommentare zum Zustand des „grossen Kantons“ gewärtigen. Doch während der Ampel-Jahre hat sich ihr Tenor merklich verdüstert: von milder Ironie wegen unpünktlicher ICEs zu echter Sorge angesichts von Rezession und der Unfähigkeit der Regierung, ihre Aufgaben zu bewältigen.

Nach der Münchner Sicherheitskonferenz und der Bundestagswahl vom 23. Februar ist Deutschland einen gewaltigen Schritt weiter, weiter hinein in die Bedrängnis.

Die Regierung Merz wird die erste Bundesregierung sein, die in der Zeit nach der Nachkriegsordnung agiert. Die Herausforderung ist exponentiell gewachsen, die Zukunft offen.

Auch für Kommunikationsverantwortliche hat sich die Ausgangslage grundlegend geändert. Die Frage „Haltungskommunikation ja oder nein“ ist von gestern, auch wenn die Problematik dahinter hochaktuell bleibt.

Jedoch steht der Rückzugsraum des virtue signaling und Wohlmeinend-Seins innerhalb von business as usual nur noch Realitätsverweigerern zur Verfügung. Adorno abwandelnd liesse sich festhalten: So wie es kein richtiges Leben im falschen gibt, so gibt es keine moralische Güte ohne Problemanalyse, die an die Wurzel geht, also radikal ist.  

Die Strategie von Donald, Elon und JD, rechtspopulistischen Kräften mithilfe von „free speech“ in unregulierten Social Media-Kanälen Auftrieb bis in die Regierungsverantwortung zu verschaffen, eine als schwach wahrgenommene EU durch eine Renaissance nationalstaatlicher Machtpolitik abzulösen und so eine Entlastung der eigenen Militärbudgets zu erreichen, lässt sich nicht mit Haltung beantworten, sondern nur mit Stärke: intellektuell, politisch, wirtschaftlich, militärisch.

Anders gewendet: Wir können in Europa die Haltung zeigen, die wir uns leisten können, weil wir sie verteidigen können – mit Mehrheiten und mit Waffen. Worauf es also jetzt ankommt, ist Performanz ohne Arroganz.

Das Ende der Nachkriegsordnung ist nicht nur ein Faktum der Realpolitik, sondern auch eines der Diskurspolitik. Ohne Wertekonsens und verlässliche Orientierungspunkte stehen wir wieder auf der offenen Agora, dem athenischen Marktplatz, und müssen um Mehrheiten werben. Mit rationalen Argumenten, aber vor allem auch mit emotionaler Bindekraft. Wir müssen das Ethos der Republik neu befeuern, Kräfte bündeln und freisetzen, hart arbeiten. Denn dreißig Milliarden Euro im Jahr mehr für Militärausgaben lassen sich nicht hier und da zusammensparen. Es gilt sie zu erwirtschaften.

Unternehmen sind gewichtige Akteure – und hier liegt unsere Chance und Rolle als Kommunikatoren. Das Edelman Trust Barometer 2025 gibt wichtige Fingerzeige, was Unternehmen beitragen können: Fakten in die Diskussion bringen (Swiss Re tut dies durch wissenschaftlich fundierte Thought Leadership-Kommunikation), Empathie zeigen, gute Arbeitsplätze anbieten und Mitarbeitende fortbilden. Vor allem aber: wirtschaftlich erfolgreich sein und so die Legitimität und die Steuergelder erwirtschaften, die nötig sind im Kampf um eine bessere Zukunft.