
Matthias Ackeret, Walter Vaterlaus, Hans-Peter Nehmer, Corina Atzli, Andreas Thommen
Happy birthday, HarbourClub!

Das Gespräch führte der Chefredaktor von persönlich, Matthias Ackeret, Bilder Daniel Pochetti
Herr Thommen, was hat Sie veranlasst, vor 25 Jahren den Harbour Club zu gründen?
Thommen: Zur Jahrtausendwende arbeitete ich bei Wirz, also auf Agenturseite. Ich hatte damals den Eindruck, dass es in den Corporate-Communications-Abteilungen der Unternehmen viele hochmotivierte und engagierte Mitarbeitende gab, die eigentlich gar nicht wussten, was sie machen. Meine Idee war es, deren Profil zu schärfen. Es gab in den Firmen zwar Pressesprecher oder Medienverantwortliche, nannte sich aber jemand Corporate Communication Officier, war er sicherlich nicht auf C-Level und durfte auch nicht an den Geschäftsleitungssitzungen teilnehmen. Die Professionalisierung des ganzen Jobprofils, aber auch deren Schärfung, war für mich die Initialzündung für die Gründung eines Berufsclubs, in dem man sich über solche Fragen austauschen konnte.
Hatten Sie ein Vorbild für einen solchen Club im Ausland?
Nein, mein Vorbild war am ehesten noch der ADC, doch dieser fokussierte sich ausschliesslich auf die Werbebranche

Herr Vaterlaus, Sie wurden am 30. August 2000 zum ersten Präsidenten des Harbour Clubs gewählt. Sind Sie sogleich auf Andreas Thommens Idee angesprungen?
Vaterlaus: Andreas hat bei mir mit seiner Idee sofort offene Türen eingerannt. Dazu muss ich ein bisschen ausholen: 1995 wurde ich vom Clariant engagiert, um deren Börsengang zu begleiten. Bereits beim Anstellungsgespräch forderte ich direkt dem CEO unterstellt zu werden, um an den Konzernleitungssitzungen teilnehmen zu können. Für einen Pressechef war dies - im Gegensatz zu all seinen anderen Direktunterstellten - damals noch nicht möglich. Um es trotzdem zu ermöglichen, hatte der CEO eine «gute Idee» und ernannte mich zum Sekretär der Geschäftsleitung. In dieser Funktion nahm ich an den Geschäftsleitungssitzungen teil, indem ich ihren Ablauf protokollierte.
Dann war der Harbour Club auch ein Druckmittel, um die Stellung des CCO zu verbessern?
Ja, eindeutig. Das Ziel unseres Clubs war klar: Wir wollten an den runden Tisch in der Teppichetage kommen. Für einen Kommunikationschef ist es unerlässlich, die Hintergründe eines Entscheides, den er zu kommunizieren hat, zu kennen. Dass der Harbour Club einem Bedürfnis entsprach, zeigte der rege Zulauf von qualifiziert hochstehenden Kommunikationschef und Chefinnen.
Wie hat Ihr Chef reagiert, als Sie Präsident des neuen Clubs wurden?
(lacht) Er war nicht begeistert und sagte: Hast du Zeit dafür? Daraufhin wusste ich, dass mein Entscheid richtig war. Dass ich Gründungspräsident wurde, hatte damit zu tun, dass die anderen Vorstandsmitglieder mir gerne den Vortritt liessen.
Frau Atzli, Sie kamen 2011 als erste Frau an die Spitze des Harbour Clubs. War dies wegen der berühmten Quote?
Atzli: (lacht) Das spielte bei uns nie eine Rolle, man war vielmehr froh, dass es jemand machte. Ich war bereits bei der Vereinsgründung im Jahr 2000 dabei. Damals leitete ich die Unternehmenskommunikation der Oettinger-Davidoff-Gruppe, war aber bereits bei Geschäftsleitungssitzungen anwesend und somit wohl jene berühmte Ausnahme, die die Regel bestätigt. Was mich am Harbour Club von Anfang an faszinierte, war die Möglichkeit, sich mit anderen Kommunikationschefs auszutauschen. Man vergisst gerne, obwohl gut vernetzt, sind sie oftmals auf sich selbst gestellt und deswegen auch sehr einsam. Für mich jedenfalls bedeutete der Harbour Club von Beginn weg auch eine «emotionale» Stärkung.

Nehmer: Dieser ehrliche Austausch an unseren Lunches auf Augenhöhe ist sicherlich ein Grund für den Zuspruch, den der Harbour Club bis heute noch hat. Ganz wichtig ist für uns auch das alljährliche Symposium, das seit 2000 durchgeführt wird, aber auch die Sommerpartys in der Zürcher Frauenbadi.
Hat sich der Harbour Club im vergangenen Vierteljahrhundert stark verändert?
Nehmer: Nur wenig, was zeigt, wie visionär und weitblickend unsere Gründer waren. Ich wurde bereits wenige Jahre nach dem Start Mitglied des Harbour Club, Walter Vaterlaus war mein erster Präsident. Damals musste man noch ein hartes Aufnahmeverfahren absolvieren, wurde von den Vorstandsmitgliedern befragt und musste anschliessend vor der Türe warten, ob man aufgenommen wird oder nicht. Dies ist längst nicht mehr der Fall. Trotzdem ist die Qualität unserer Mitglieder sicherlich die DNA unseres Clubs.
Was ist bei der Aufnahme entscheidend: die Firma, die man vertritt, oder die menschlichen Qualitäten?
Nehmer: Eindeutig die menschlichen. Bei der Gründung beschränkte sich die Anzahl der Mitglieder statutarisch auf 50. Diese Zahl wurde im Lauf der Jahre aufgrund der grossen Nachfrage auf die magische Grenze von 100 erhöht. Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir mehr Interessenten auf der Warteliste haben als freie Plätze. Wichtig für eine Mitgliedschaft ist aber, dass jemand aktiv seinen Job als CCO ausübt.
Vaterlaus: Bei der Gründung waren wir uns überhaupt nicht sicher, ob wir überhaupt 50 Mitglieder zusammenbringen. Gerade die Grossunternehmen waren anfänglich skeptisch, ob unsere Idee funktioniert und einem Bedürfnis entspricht. Das änderte sich aber sehr schnell.
Inwiefern hat sich das Berufsbild im vergangenen Vierteljahrhundert verändert?
Nehmer. Sollte eine Firma heute noch nicht wissen, was die Aufgabe eines Kommunikationschefs oder einer Kommunikationsabteilung ist, hat sie vieles nicht begriffen. Im Gegensatz zu früher brauchen wir uns heute nicht mehr zu erklären. Jede grosse Firma hat im Verlauf der letzten Jahre eine oder zwei grossen Krisen erlebt. Gerade in solchen Situationen sieht man, wie wichtig ein funktionierender Kommunikationsapparat ist. Fairerweise muss man auch betonen, dass sich das mediale Umfeld total verändert hat. Bei der Gründung des Harbour Clubs war das Internet noch in den Kinderschuhen, die Homepages waren trivial und soziale Medien mit ihren Shitstorms gab es damals noch nicht.
Ihre Bewährungsprobe war der Tsunami vor genau 20 Jahren.
Zweifelsohne. Ich arbeitete damals für Hotelplan und wir mussten Ende 2004 über ein äusserst schreckliches, noch nie dagewesenes Ereignis kommunizieren, von welchem viele Schweizerinnen und Schweizer, aber auch Kundinnen und Kunden von Hotelplan, betroffen waren und sogar ihr Leben verloren. Das war eine absolute Extremsituation, auch für die Firmen und die Daheimgebliebenen. In einer Situation ist gute und transparente Kommunikation matchentscheidend. Für mich war dies zweifelsohne ein Schlüsselerlebnis.
Nochmals zur Stellung des Kommunikationschefs innerhalb eines Unternehmens. Ist es heute unbestritten, dass er Mitglied der Geschäftsleitung ist?
Ja, in vielen grossen Firmen ist dies der Fall. Oder er ist – wie ich bei Allianz – in der erweiterten Geschäftsleitung und kann an den wichtigen Sitzungen teilnehmen. Ein neuer Trend ist aber, dass die Kommunikationschefs zwar an Geschäftsleitungssitzungen teilnehmen können, zusätzlich aber noch Marketing- oder HR-Aufgaben zugeteilt bekommen.
Befürworten Sie dies oder sind Sie Verfechter der «reinen Lehre»?
Ich befürworte die reine Lehre. Ich erlebe es bei meiner Tätigkeit, dass ein Kommunikationschef einen 360-Grad-Blick benötigt, um alle Stakeholder miteinzubeziehen. Ein Marketingchef hingegen fokussiert sich nur auf bestimmte Gruppen. Es ist wichtig, dass der Entscheidungsträger sehr nahe bei der Geschäftsleitung oder beim CEO ist, um ihn zu beraten oder zumindest alle Entscheidungen nachvollziehen zu können. Das schafft ein besonderes Vertrauensverhältnis, deswegen sind CEO-Wechsel nicht immer ganz einfach.
Ist das so?
Das ist so. Ich bin nun 13 Jahre bei der Allianz und erlebe nun den fünften CEO-Wechsel. Mittlerweile ist dies aber kein Problem mehr, da sich auch das Management der meisten Unternehmen mittlerweile auch bewusst ist, welches Asset die Unternehmenskommunikation darstellt. Zudem ist heute auch eine neue Generation von CEOs am Ruder, die die neuen medialen Gesetzmässigkeiten auch kennen.
Herr Thommen, als Sie 2000 den Harbour Club ins Leben riefen, waren Sie bei Wirz, also gar nicht in der Unternehmenskommunikation. Warum haben Sie den Verein trotzdem gegründet?
Das stimmt, ich kam aus dem Journalismus, war also selber nie ein Kommunikationschef eines Unternehmens. Das gab möglicherweise eine bessere Aussensicht auf die Corporate Communication. Ich kannte damals viele Kommunikationschefs, von denen ich den Eindruck hatte, dass sie sich unter ihrem Wert verkaufen. Wichtig ist die Aussage von Hanspeter, wonach der Kommunikationsverantwortliche auch eine beratende Funktion hat. Dieser strategische Ansatz ist in unserer Tätigkeit sehr wichtig. Hier schliesst sich auch der Kreis zur Wirz: früher hatten viele Unternehmen einen externen Berater eingestellt, der den Kommunikations- oder Pressechef nach den Geschäftsleitungssitzungen orientierte, was dort diskutiert wurde. Nach meiner Ansicht war dies aber der falsche Weg und griff zu kurz.
Gegen aussen entsteht oftmals der Eindruck, dass der Kommunikationschef oder die Chefin «nur» die Stimme seines Herrn ist…
Atzli: Das ist oftmals nur die Aussenansicht, obwohl dieser Eindruck auch berechtigt ist, schliesslich präsentiert ein Kommunikationschef auch ein Unternehmen. Gegen innen hingegen ist die Rolle eines Kommunikationsverantwortlichen vielfältiger. So sollte er innerhalb eines Unternehmens Kontakte zu allen Beteiligten haben, zumal es unerlässlich ist, einen Entscheid umfassend zu kommunizieren. Ein Kommunikationschef sollte auch die Möglichkeit haben, einen CEO auf die Konsequenzen eines Entscheides hinzuweisen. Dies nicht zuletzt, weil er möglicherweise das ganze politische und gesellschaftliche Umfeld besser kennt als die Geschäftsleitung.
Aber am Ende ist sowieso die Kommunikation schuld, wenn es falsch rauskommt…
Vaterlaus (lacht): Das kann ich per se so nicht unterschreiben. Es gab auch Fälle – wie beispielsweise bei der Swissair -, wo die Kommunikation zwar gut, die Ausgangslage hingegen katastrophal war. In einem solchen Moment kann auch die beste Kommunikation nichts mehr ändern. Für mich war es unerlässlich, dass bei Krisen der CEO hinsteht und nicht sein Kommunikationschef. Wir mussten einmal einen grossen Stellenabbau kommunizieren, der auch ausländische Fabriken betraf. Der damalige CEO ist aufgrund meiner Empfehlung vor die Belegschaft getreten und hat unseren Schritt erklärt. Das kam erstaunlich gut an und löste viel Konfliktpotential. Die Gewerkschaften versicherten mir, dass es das erste Mal war, dass ein CEO persönlich vor die Belegschaft getreten sei.
Nehmer: Gute Kommunikation bedeutet mehr als nur eine Pressemitteilung zu verfassen. Notfalls kann dies auch die KI übernehmen. Gute Kommunikation ist vor allem eine Haltung, nur wer diese in sich trägt, kann unschöne Themen wie Stellenabbau oder Entlassungen so kommunizieren, dass es die Betroffenen und auch die Nichtbetroffenen verstehen.
Wie haben vorhin den Shitstorm erwähnt. Wann reagiert man auf diesen?
Wenn er da ist. Ein guter Kommunikationschef sollte ein Monitoring entwickeln, um festzustellen, wie gefährlich ein Angriff ist und wie man überhaupt darauf reagieren soll. Frägt mich jemand, was meine Haupttätigkeit sei, antworte ich jeweils: Reputation. Sobald ein Unternehmen «angegriffen» wird, sollte der Kommunikationschef die Gefahr einschätzen und sofort reagieren können. Es ist jener Moment, in dem alle nach der Kommunikation rufen und die Verantwortung weitergeben wie eine heisse Kartoffel.
Vaterlaus: Heute ist es der Shitstorm, früher musste sich der Kommunikationschef mit anderen Störfaktoren wie einem Kassensturz-Beitrag auseinandersetzen. So gesehen haben sich zwar die Zahl der Medien verändert, unsere Aufgabe ist aber im grossen Ganzen die gleiche geblieben: nämlich Schaden vom Unternehmen abzuwenden und bestimmte Sachverhalte erklären.
Gehen wir nochmals zum Harbour Club zurück. Warum haben Sie eigentlich diesen Namen gewählt?
Thommen: Weil wir anfänglich unsere Sitzungen im Harbour House, einer alten Villa, direkt vor dem Hafen Wollishofen, abhielten. Ich suchte nach einem Namen, der etwas Geheimnisvolles verkörpert, Corporate-Communication-Officier-Club oder Kommunikationschef-Vereinigung schien mir zu banal.
Und dagegen gab es nie Widerstand?
Doch, doch. Aber als es zur Abstimmung kam, hatte sich der Name längst eingebürgert und konnte nicht mehr abgeschafft werden.
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