Dan Bärlocher, Head of Corporate Communications Swiss International Air Lines

Transformation unter Turbulenzen

Mittels gelebter Digitalkultur zum hybriden Corporate Newsroom.

Die kommerzielle Luftfahrt geht durch die wohl schwierigste Zeit seit ihrem Bestehen. Die Corona-Pandemie hat den Luftverkehr weltweit in einem noch nie dagewesenen Ausmass getroffen und ihn praktisch zum Erliegen gebracht. Kaum eine andere Branche kämpft stärker mit den Auswirkungen der globalen Krise, kaum eine andere wird länger dafür brauchen, sie zu überwinden. Laut Schätzungen des Branchendienstes Cirium waren weltweit zeitweise über 17’000 Flugzeuge geparkt – viele davon bleiben für immer am Boden. Hunderte von Millionen Menschen konnten ihre gebuchten Reisen nicht antreten. Dies führte gemäss dem Branchenverband IATA alleine im Jahr 2020 zu einem Ertragsausfall von weltweit bis zu 500 Mrd. USD. Ohne Staatshilfen hätte praktisch keine Airline den drohenden Liquiditätsengpass überstanden. Auch Swiss International Air Lines (SWISS) sah und sieht sich noch immer mit der grössten Herausforderung in ihrer 20-jährigen Unternehmensgeschichte konfrontiert.

(Un-) Denkbar schwierige Herausforderungen

Die Dimension der Pandemie steht in keinem Vergleich zu früheren exogenen Schocks wie 9/11, SARS oder die Finanz- und Wirtschaftskrise. Die Unberechenbarkeit, ständig ändernde, länderspezifische Reiserestriktionen und Lockdowns sowie die anfängliche Unsicherheit über die Verbreitung des Virus stellten SWISS vor (un-) denkbar schwierige Herausforderungen: Aufgrund massiver Ertragsausfälle durch Flugstreichungen wurden einschneidende Kostensenkungsmassnahmen, Projektstopps und eine Transformation des gesamten Unternehmens eingeleitet. Ausgehend von einem nachhaltigen Rückgang der Marktnachfrage um 20% wurde die Zahl der Mitarbeitenden und der Flugzeuge reduziert. Mit Darlehen der Muttergesellschaft und Staatshilfe konnte die Liquidität gesichert werden. Besonders gravierend wirkten sich aber die zahlreichen teils sehr kurzfristigen Flugstreichungen aufgrund sich ständig ändernder Reiserestriktionen aus. Diese verlangten nicht nur dem Flugbetrieb viel ab, sondern führten auch dazu, dass aufgrund der immens hohen Zahl an Anfragen für Umbuchungen und Erstattungen der Kundendienst innert kürzester Zeit komplett überlastet war. All dies wirkte sich bei einer Premium-Fluggesellschaft wie SWISS in besonderem Masse reputationsschädigend aus und verlangte von der Unternehmenskommunikation viel ab.

Krisenkommunikations- und Newsroom-Erfahrung

Als entscheidender Vorteil erwies sich, dass Mitarbeitende in Fluggesellschaften regelmässig in umfangreichen Krisenübungen geschult werden. Dadurch konnte die Krisenorganisation mit ihren Task Forces schnell hochgefahren werden. Die Unternehmenskommunikation fasste in einer frühen Phase den Entschluss, sich ins Homeoffice zurückzuziehen und nur noch bei betriebsnotwendigen Arbeiten ins Büro zurückzukehren. Damit wurden gleiche Voraussetzungen für alle im Team geschaffen und die Gefahr einer Ansteckung reduziert. In einem um die Kommunikator:innen aus den Schnittstellen erweiterten virtuellen Corporate Newsroom wurden die Kommunikationen koordiniert und mit dem Newsroom der Lufthansa Group abgestimmt. Mit der intensivierten Nutzung eines Kollaborationstools als zentralem Steuerungsinstrument etablierte sich innert Kürze eine Digitalkultur. Besonders effizient erwies sich das Tool auch, als aus Kostenspargründen Kurzarbeit verordnet werden musste. Dadurch konnte sichergestellt werden, dass sämtliche Kommunikator:innen über den gleichen Wissensstand verfügten und auch Übergaben reibungslos funktionierten.

Vertrauen mit dialogorientierten Formaten schaffen

Im speziellen Fall einer Pandemie, wo Kontakte vor Ort nicht mehr oder nur sehr beschränkt möglich sind, findet zwangsläufig eine Verlagerung in den virtuellen Raum statt. Um diesem Umstand gerecht zu werden, wurde auf der internen News-Plattform ein Live-Ticker zu den aktuellen Entwicklungen aufgeschaltet und die Zahl der interaktiven (Top-) Management-Webcasts erhöht, um einen regelmässigen Informationsaustausch mit den Mitarbeitenden sicherzustellen. An diesen Webcasts standen jeweils sämtliche Mitglieder der (erweiterten) Geschäftsleitung Red und Antwort, um einerseits Geschlossenheit zu demonstrieren und andererseits um sprechfähig bei sämtlichen Themen zu sein bzw. auch zuzugeben, dass man ein Problem zwar identifiziert hat, aber noch keine Lösung dazu habe. Besonders grossen Anklang bei den Mitarbeitenden fanden die bei den Webcasts eingesetzten, dialogorientierten Tools. Dadurch konnten die Mitarbeitenden nicht nur ihre Fragen (anonym) stellen, sondern auch diejenigen Fragen liken, die sie tatsächlich interessierten. Ein Moderator konnte so sicherstellen, dass die brennendsten Fragen im Webcast gestellt wurden. Im Gegenzug konnte sich die Geschäftsleitung ein klares Stimmungsbild über diejenigen Themen machen, die für die Mitarbeitenden am relevantesten waren. Dieser grösstmöglichen Transparenz ist zu verdanken, dass die Mitarbeitenden viel Vertrauen der Geschäftsleitung entgegenbrachten und sich nicht durch teils widersprüchliche, externe Berichterstattungen verunsichern liessen.

Mit Authentizität zu höherer Glaubwürdigkeit

Parallel zur faktenorientierten und offenen Kommunikation mussten in Zeiten von knappen Ressourcen und eingeschränkter Mobilität kreative Lösungen gefunden werden, um auch Erfolgserlebnisse kommunizieren zu können. Letzteres, um einerseits die Motivation bei den Mitarbeitenden hoch zu halten und andererseits um positive, externe Berichterstattungen zu generieren. Dies gelang mit der direkten Einbindung von Mitarbeitenden in die Kommunikationen. So wurden zum Beispiel bei besonderen Ereignissen wie Repatriierungsflügen von Destinationen ausserhalb des Netzwerks oder beim Transport wichtiger medizinischer Hilfsgüter in umgebauten Passagierflugzeugen, Crewmitglieder mit Affinität zu Kommunikation angefragt, ob sie bereit wären, mit deren Mobiltelefon Foto- und Videomaterial zu produzieren. Diese Beiträge wurden dann auf der internen News-Plattform unter #swissatheart aufgeschaltet und – wo möglich – auch in der externen Kommunikation verwendet. Dank diesen sehr authentischen (Bewegtbild-) Beiträgen und der Positionierung von internen Testimonials als Experten oder «Menschen am Ort des Geschehens» konnten auf sehr emotionale Art und Weise positive Botschaften an die jeweiligen Zielgruppen transportiert werden.

Vom virtuellen zum hybriden Corporate Newsroom

Aus kommunikativer Sicht kann man der Pandemie auch Positives abgewinnen: Durch die Homeoffice-Pflicht wurde die digitale Transformation beschleunigt und breite Akzeptanz für eine virtuelle Zusammenarbeit geschaffen. Auch wenn die beste virtuelle Kommunikation keinen Live-Event ersetzen kann, hat es doch überraschend gut bei reaktiver und aktiver Kommunikation funktioniert und es ist zu keinerlei Pannen gekommen. Zudem hat sich die Zusammenarbeit zwischen der Unternehmenskommunikation und den Kommunikationsschnittstellen des Unternehmens intensiviert und etabliert. Die damit einhergehende Digitalkultur ebnet den Weg zu einem hybriden Corporate Newsroom, der mit Kommunikator:innen vor Ort und im Homeoffice die strategische Themenplanung und operative Umsetzung steuert – weit über die Abteilungsgrenzen der Kommunikation und des Marketings hinweg, bis tief in die Kür des Storytellings in der proaktiven Kommunikation hinein.

Story Hub als «digitales Zuhause»

In der proaktiven Kommunikation lösen Einzelstories bislang magazinähnliche Formate mit einer Aneinanderreihung von Stories ab und warten zudem mit authentischeren und emotionaleren Inhalten auf. Analog zu einem Drehkreuz bei Flughäfen steht in der Kommunikation ein Story Hub. Als Zubringer dienen hierbei Social-Media-Kanäle und Newsletter, über die mittels emotional aufbereiteten Posts auf den Story Hub geführt wird. Auf der Microsite mit dem Story Hub erhalten die Posts neu ein «digitales Zuhause», können jederzeit aufgefunden und geteilt werden. Über diese Plattform wird auf die Langstrecke bzw. lange Strecke geführt, wo Themen vertieft oder mittels Teaser weitere Themen angepriesen werden. Ziel ist, spannende Einblicke hinter die Kulissen zu geben sowie mit Destinationsmarketing zum Reisen zu inspirieren. Mit dem Übergang vom Krisenmodus zum «neuen Normal» wird der hybride Corporate Newsroom erst recht seine Stärke ausspielen können: Mittels integrierter Kommunikation mit proaktiven Stories die ungebrochene Faszination der Aviatikbranche auf emotionale Weise zu übermitteln. Mit dieser Transformation der Kommunikation und des Unternehmens nutzte SWISS gezielt Chancen in der Krise, um sich zukunftsfähig aufzustellen – ganz nach Winston Churchill’s berühmter Aussage «Never let a good crisis go to waste».

Dieser Artikel ist zuerst erschenen im "Kommunikationsmanager" 1/22. Ein Interview mit Daniel Bärlocher, geführt von Reto Lipp, findet sich hier.
 

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